Roula Khalaf, Chefredakteur des FT, wählt ihre Lieblingsgeschichten in diesem wöchentlichen Newsletter aus. Ein US-Unternehmen verändert auf grundlegende Weise die Funktionsweise der Deutschland AG. Traditionell wechselten deutsche Spitzenmanager oft vom CEO zum Aufsichtsratsvorsitzenden im selben Unternehmen. Dies unterstrich den konsensorientierten Ansatz in der Unternehmensführung deutscher Unternehmen, der Kontinuität über frisches Denken in der Unternehmenskultur priorisierte. Beispiele dafür sind Norbert Reithofer bei BMW, Michael Diekmann bei Allianz, Kurt Bock bei BASF und Nikolaus von Bomhard bei Munich Re. Seit 2009 schreibt deutsches Recht jedoch vor, dass zwischen solchen Positionen eine zweijährige Abkühlphase liegen muss. Im Dezember 2021 kündigte Institutional Shareholder Services an, dass sie keinen ehemaligen CEO unterstützen würden, der Vorstandsvorsitzender des gleichen Unternehmens werden oder bleiben möchte.
Diese neue ISS-Politik sorgte seit Anfang 2022 für Aufsehen, als der Proxy-Berater empfahl, gegen die Wiederwahl von BASF’s Bock und Munich Re’s von Bomhard zu stimmen. Beide wurden trotz Proteststimmen bei den Jahresversammlungen wiedergewählt. Dies signalisiert, dass es schwieriger wird, den Schritt vom CEO zum Aufsichtsratsvorsitzenden zu machen. Wenige Manager werden bereit sein, die zweijährige Abkühlphase zu durchlaufen, um dann mit erheblicher Unsicherheit konfrontiert zu sein, ob sie genügend Aktionärsstimmen erhalten. Die neue ISS-Politik zielt darauf ab, deutsche Aufsichtsräte unabhängiger und effektiver zu machen. Um dies zu erreichen, könnten jedoch mehr als Marktdruck erforderlich sein, um langjährige Mängel in der deutschen Unternehmensführung zu beheben.
Einige Mängel erfordern möglicherweise das Eingreifen von Gesetzgebern und Änderungen des deutschen Unternehmens- und Wertpapierrechts. Die eingebauten Mängel und Lücken in der Governance können leicht von Managements mit schlechten Absichten ausgenutzt werden, wie der Wirecard-Skandal zeigt. Es gibt jedoch zur Zeit wenig politisches Interesse daran, die Rechte der Aufsichtsräte oder Aktionäre zu stärken. Vielmehr diskutiert das deutsche Parlament tatsächlich darüber, es für Aktionäre schwieriger zu machen, potenziell fehlerhafte Entscheidungen, die auf Hauptversammlungen getroffen werden, vor Gericht anzufechten. Angesichts der tiefgreifenden Herausforderungen, denen sich ein Großteil der Deutschland AG – insbesondere im industriellen Sektor – gegenübersieht, vom Wettbewerb aus China bis hin zur Bewältigung des grünen Übergangs, lässt sich leicht argumentieren, dass eine Steigerung des Vertrauens der Aktionäre in die Unternehmen durch eine bessere Unternehmensführung in Berlin höher auf der Tagesordnung stehen sollte.